Schloss Bensberg zu besuchen ist immer wieder ein Erlebnis. Der Blick über die gesamte Kölner Bucht ist ebenso atemberaubend, wie das erhabene barocke Ensemble selbst. Auch wenn dem Schloss in der Umgebung leider die Weitläufigkeit fehlt, da es in der nicht gerade hübschen Kleinstadt-Bebauung von Bensberg regelrecht eingezwängt wird, ist das schnell vergessen, sobald man vor diesem imposanten Bau steht.
Das nach Vorbild des Schlosses Schönbrunn von Kurfürst Jan Wellem erbaute Objekt beherbergt im Nebengebäude des Grand Hotels das Restaurant Vêndome, welches seit über einem Jahrzehnt zu den höchstdekorierten Häusern Deutschlands und Europas gehört.
Die Entwicklung der Küche von Joachim Wisssler begleiten wir nun schon seit mittlerweile 20 Jahren und er hat es in der Vergangenheit fast immer geschafft, uns zu begeistern. Sein Talent, sich immer wieder neu zu erfinden, ohne seinen klaren Stil zu verlassen, sorgte stets für Überraschungen, die in der Mehrzahl positiv waren.
Im Gegensatz zu vielen Touristen sind wir an diesem sonnigen Tag daher nicht zum Vergnügen hier , denn vor uns liegen 13 Gänge + Kleinigkeiten, da wir uns am letzten Tag vor dem "Lockdown light" ein unvergessliches Essen gönnen wollen und dazu das große 10gängige Degustations-Menü nach Rücksprache mit der Küche nochmals erweitert haben.
Pünktlich um 11:59h betreten wir daher die heiligen Hallen, um nicht am Ende mit den Abendgästen zu kollidieren
und bekommen prompt einen Tisch mit Aussicht auf den Dom, was für manchen Kölner wie @Coppercouch mindestens so wichtig wie das Essen ist.
Nun kann es endlich losgehen und wir starten mit den Amuse:
A1-4:
Toffee von Karamellisierter Gänseleber & Piemonteser Haselnuss
Rillettes vom Sonnenschwein & Nicolais Räucheraal
Badisches Weinbergschnecken-Tartelette
Beef Tea vom Weiderind im Wirsingblatt
A5: Borschtschsalat & Leinsamen-Sabayon
Trotz der recht üppig kalkulierten Weinkarte findet sich ein Tropfen, der uns wirklich reizt, ein Bollinger Coteaux Champenois La Cote Aux Enfants 2002. Das ist ein Rotwein aus der Champagne, den es nur in geringen Stückzahlen gibt. Selbst der Sommelier im Vêndome muss einräumen, ihn noch nie getrunken zu haben und hat seine liebe Mühe mit dem Verschluss .
Unser Wagemut wird belohnt: Zunächst würde man diesen Wein von Nase und erstem Eindruck für einen Burgunder halten, aber danach spürt man eine enorme Mineralität am Gaumen. Töne wie Tannin oder Barrique sind kaum vorhanden, dafür eine unglaubliche Tiefe und Komplexität, wie man sie sonst nur bei ganz großen Burgundern kennt. Eine tolle Entdeckung!
Eine Tüte mit Brotauswahl ist der Abschluss des "Vorspiels":
Bisher eine gelungene Einstimmung, so dass das Menü beginnen kann. Vorab dürfen wir uns noch kurz davon überzeugen, dass in der Küche jeder auf seinem Posten ist
Dann geht es endlich los, wobei trotz aller Vorplanung bereits 90 Minuten vergangen sind, bevor wir richtig einsteigen können:
1. Glasierte Gänseleber & Gebrannte Blaumohncrème
[Karamellisierte Blutwurst & Apfelsalat : Trüffelvinaigrette]
2. Kalbshirn Piccata & „Vitello Tonnato“
[Kalbsschultersaft : Artischockensalat : Pfifferlinge]
3. Grosse Langoustine
[Lemon-Pepper-Ginsud : Calamarettisalat : Tandoori Masalacrème]
4. Zander Im Kartoffelfeuerduft
[Schweineschnäuzchen : Sauce Vin Jaune : Schwarzmöhrensalat]
5. Geangelter Wolfsbarsch & Wilder Fenchel Gegrillt
[Safran-Bouchotmuschel-Vinaigrette : Kichererbsenhumus]
6. Sonnenschwein & Weissbier-Liebstöckelsaft
[Muskattrauben : Senf-Blumenkohlcrème]
7. Landei Weiss Gekrönt
[Albatrüffel : Gestockter Schinkensaft : Nussbutterschaum]
8. Geeister Ziegenfrischkäse & Thymianhonig
[Schwarze Oliventapenade : Feigen In Senfmarinade]
Nach diesem "kleinen Vorspiel" geht es nun zu den Hauptgängen:
9. Challans Ente “Xo”
[Bouillon Chinoise : Runkelrübe : Mandarinen-Fjord Shrimpsalat]
10. Rostbraten Vom Angus-Rind & Zitronen-Thymianjus
[Vadouvan-Sellerietarte : Auberginenconfit : Ochsenmark]
11. Sonnenblumenmousse & Mango
[Topinambur : Passionsfrucht-Champagnersorbet]
12. Banane
[Karamellisiertes Erdnusseis & Jivara-Gewürzganache]
13. Apfelquitte mit Maronenstrudel
[Hagebuttengelee : Quitten Chantelly : Ingwer]
Zum Abschluss starten die Petits Fours mit dem Vêmdome-Klassiker Magnum
Leider ist es mittlerweile so spät, dass wir mit Rücksicht auf den Service den verführerischen Rest in einer DoggyBag mitnahmen.
Glücklicherweise haben wir immer eine Stählemühle im Handgepäck und so können wir diesen großartigen Nachmittag mit einem Digestif in der Sonne vor Schloss Bensberg ausklingen lassen
Trotz des Feuerwerks auf dem Teller, bleibt der Gedanke, dass dies durch Corona für dieses Jahr vermutlich unsere letzter Besuch dort war, so dass wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge das Schloß verlassen.
Aufgrund der Vielzahl der Gänge verzichte ich bewusst auf eine Einzelanalyse, die vermutlich langweilen würde, sondern möchte anhand von ein paar Beispielen Licht und Schatten im Menü erklären. Vorab sei gesagt, dass Joachim Wissler für mich ohne Zweifel in die Champions League der Köche gehört, so dass jegliche Kritik ein Klagen auf allerhöchstem Niveau ist. Nichtsdestotrotz muss man sich international mit den Besten messen und da wird schnell klar, warum deutsche Köche selten in den Top10 diverser Besten-Listen landen.
Nehmen wir die Langoustine von den Färöer-Inseln (Gang 3):
Der Kaisergranat in großartiger Produktqualität ist über jeden Zweifel erhaben (9,5/10), dazu ein unglaublich intensiver, aber gleichzeitig ausbalancierter Krustentier-Fond, wie ihn nur ein Spitzenkoch mit klassischer Ausbildung hinbekommt. Ergänzt mit einer Tandoori-Masala-Creme, die hervorragend dazu passt, so dass man mit etwas Detailarbeit daraus sicherlich einen 9,5/10 Gang machen könnte, vielleicht sogar mehr. Stattdessen gibt es Kartoffeln dazu, die ein völliger Fremdkörper sind und vermutlich der Versuch, die Reise nach Indien irgendwie in die „Neue deutsche Küche“ zu integrieren. Ein ebensolcher Fremdköper ist der für sich genommen sehr gute Calamarettisalat, der gegenüber dem intensiven Fond und der würzigen Crème keine Chance hat. Vielleicht hätte er als Pré-Plats besser gepasst, allerdings erschließt sich mir einfach der Zusammenhang nicht, außer dass es um Meeresgetier geht.
Das Verständnis der Küche ist im Grunde ein Problem, dass sich durch das ganze Menü zieht. Natürlich gibt es deutsche Klassiker wie Schweineschnäuzchen und Zander, aber viele der Gänge sind für mich nicht „typisch Wissler“, sondern hätten in vielen anderen Restaurants dieser Welt serviert werden können. Technisch und kreativ kann Joachim Wissler mit seinem Team, im Gegensatz zu vieler seiner Kollegen, die gesamte kulinarische Klaviatur spielen, so dass er neben der „neuen deutschen Küche“ vermutlich jederzeit ein japanisch oder orientalisch inspiriertes ***-Menü kreieren könnte. Vielleicht ist genau das die Schwierigkeit, sich in der Vielzahl der Möglichkeiten zurecht zu finden, denn es gab an diesem Tag so einige Gänge, wo ich gerne in die Küche gegangen wäre, um mir die Idee dahinter erklären zu lassen.
Ein Gang bei dem dies nicht notwendig ist, ist der Wolfsbarsch (Gang 5):
Der Loup de Mer in einer Qualität, wie man ihn selbst in der Bretagne nur schwerlich bekommt, ist wirklich ein Eichmaß, also eine 10+. Der kleine orientalische Ausflug passt dieses Mal perfekt und selbst das neue Modegemüse Fenchel macht so absolut Sinn, ebenso wie die Muscheln. Nimmt man einen Löffel davon und schließt die Augen, hört man im Kopf das Meeresrauschen während der Gaumen explodiert. Eine leichte Schärfe und Salzigkeit in perfekter Balance mit dem Fisch zeigen, was in der Küche des Vêndome möglich ist. Allein deswegen hat sich unser Besuch gelohnt, dieser Gang ist die Reise wert. Daran sieht man, dass Joachim Wissler auch jenseits der deutschen Küche problemlos eine 10/10 auf den Teller bringen kann.
Ähnlich ist es beim Onsenei mit Trüffel (Gang 7):
Ich habe sicherlich eine dreistellige Anzahl getrüffelter Onseneier gegessen, aber dieses hier gehört aufgrund seiner perfekten Balance sicherlich in die Top5, eine klare 10/10, auch wenn es theoretisch ein einfaches Gericht ist, aber perfektes Soulfood klingt einfacher als es ist.
Natürlich ist nicht jeder Gang auf diesem Niveau und es zeigt sich, dass die meisten Gerichte nicht mit dem Sezieren einzelner Zutaten funktionieren, sondern nur dann, wenn man den Löffel quer durchzieht. Ein Paradebeispiel dafür ist der geräucherte Zander (Gang 4), der für sich genommen eine 9,5/10 wäre, als Gericht jedoch ein ganzer Punkt weniger, da man einen Löffel mit allen Komponenten haben muss, da der Gang wie gewünscht harmoniert . Das ist insoweit schade, weil die Proportionen der einzelnen Komponenten nicht immer stimmig sind, so dass man manchmal am Ende ratlos vor einem Rest sitzt, der für sich genommen keinen Sinn ergibt.
Nimmt man als schlechtesten Gang eine 8/10 und als besten eine 10/10 passt eine 9/10 ziemlich genau für dieses Menü.
Ein weiterer (kleiner) Kritikpunkt ist der Service, der zwar jederzeit professionell und aufmerksam ist, bei dem jedoch leider kein Funke überspringt, was vermutlich daran liegt, dass man bei einem Durchschnittsalter von Mitte 20, keine Souveränität ausstrahlen kann. Auch hier geht es wieder um Jammern auf höchstem Niveau, aber die Zeiten, wo Miguel Calero die etwas steife Atmosphäre, durch seinen Humor, vor dem niemand sicher war, aufgelockert hat, vermisst man schmerzlicher denn je.
Jenseits aller Details ist es genau das, was uns gefehlt hat:
Wir fühlten uns über weite Strecken weder vom Essen noch vom Service emotional abgeholt. Es gibt Restaurants, die nicht ansatzweise auf diesem Niveau kochen, bei denen man jedoch mit einem breiten Grinsen durch die Tür geht. Ebenso gibt es Restaurants, wo der Service nicht perfekt ist, man jedoch viel Spaß hat und lacht. All dies hat uns im Vêndome etwas gefehlt, wo zwar alles professional abgespult wurde, jedoch die Emotionen fehlten.
Insoweit werden wir wohl in 2021 zunächst wieder zu Champions-League-Köchen wie Aljamo, Frantzén, Ramirez oder Redzepi gehen, bevor wir das Gute das so nah ist, erneut ausprobieren.
Fazit:
An meiner Einschätzung, dass das Vêndome kulinarisch zu den drei besten Restaurants Deutschlands gehört, hat sich durch unseren letzten Besuch nichts geändert. Nichts desto trotz hat man das Gefühl, dass es aktuell an einem klaren Konzept mangelt, wodurch es international etwas zurückgefallen ist. Es würde mich sehr freuen, wenn Joachim Wissler den Lockdown dazu nutzt, Gerichte weiter zu perfektionieren und sein Profil zu schärfen, denn er gehört sicherlich zu den Top50-Köchen dieser Welt. Unabhängig von der Kritik auf allerhöchstem Niveau ist und bleibt er die Speerspitze der neuen deutschen Küche und insoweit ein Pflichtbesuch für jeden, der noch nicht dort war.
Das nach Vorbild des Schlosses Schönbrunn von Kurfürst Jan Wellem erbaute Objekt beherbergt im Nebengebäude des Grand Hotels das Restaurant Vêndome, welches seit über einem Jahrzehnt zu den höchstdekorierten Häusern Deutschlands und Europas gehört.
Die Entwicklung der Küche von Joachim Wisssler begleiten wir nun schon seit mittlerweile 20 Jahren und er hat es in der Vergangenheit fast immer geschafft, uns zu begeistern. Sein Talent, sich immer wieder neu zu erfinden, ohne seinen klaren Stil zu verlassen, sorgte stets für Überraschungen, die in der Mehrzahl positiv waren.
Im Gegensatz zu vielen Touristen sind wir an diesem sonnigen Tag daher nicht zum Vergnügen hier , denn vor uns liegen 13 Gänge + Kleinigkeiten, da wir uns am letzten Tag vor dem "Lockdown light" ein unvergessliches Essen gönnen wollen und dazu das große 10gängige Degustations-Menü nach Rücksprache mit der Küche nochmals erweitert haben.
Pünktlich um 11:59h betreten wir daher die heiligen Hallen, um nicht am Ende mit den Abendgästen zu kollidieren
und bekommen prompt einen Tisch mit Aussicht auf den Dom, was für manchen Kölner wie @Coppercouch mindestens so wichtig wie das Essen ist.
Nun kann es endlich losgehen und wir starten mit den Amuse:
A1-4:
Toffee von Karamellisierter Gänseleber & Piemonteser Haselnuss
Rillettes vom Sonnenschwein & Nicolais Räucheraal
Badisches Weinbergschnecken-Tartelette
Beef Tea vom Weiderind im Wirsingblatt
A5: Borschtschsalat & Leinsamen-Sabayon
Trotz der recht üppig kalkulierten Weinkarte findet sich ein Tropfen, der uns wirklich reizt, ein Bollinger Coteaux Champenois La Cote Aux Enfants 2002. Das ist ein Rotwein aus der Champagne, den es nur in geringen Stückzahlen gibt. Selbst der Sommelier im Vêndome muss einräumen, ihn noch nie getrunken zu haben und hat seine liebe Mühe mit dem Verschluss .
Unser Wagemut wird belohnt: Zunächst würde man diesen Wein von Nase und erstem Eindruck für einen Burgunder halten, aber danach spürt man eine enorme Mineralität am Gaumen. Töne wie Tannin oder Barrique sind kaum vorhanden, dafür eine unglaubliche Tiefe und Komplexität, wie man sie sonst nur bei ganz großen Burgundern kennt. Eine tolle Entdeckung!
Eine Tüte mit Brotauswahl ist der Abschluss des "Vorspiels":
Bisher eine gelungene Einstimmung, so dass das Menü beginnen kann. Vorab dürfen wir uns noch kurz davon überzeugen, dass in der Küche jeder auf seinem Posten ist
Dann geht es endlich los, wobei trotz aller Vorplanung bereits 90 Minuten vergangen sind, bevor wir richtig einsteigen können:
1. Glasierte Gänseleber & Gebrannte Blaumohncrème
[Karamellisierte Blutwurst & Apfelsalat : Trüffelvinaigrette]
2. Kalbshirn Piccata & „Vitello Tonnato“
[Kalbsschultersaft : Artischockensalat : Pfifferlinge]
3. Grosse Langoustine
[Lemon-Pepper-Ginsud : Calamarettisalat : Tandoori Masalacrème]
4. Zander Im Kartoffelfeuerduft
[Schweineschnäuzchen : Sauce Vin Jaune : Schwarzmöhrensalat]
5. Geangelter Wolfsbarsch & Wilder Fenchel Gegrillt
[Safran-Bouchotmuschel-Vinaigrette : Kichererbsenhumus]
6. Sonnenschwein & Weissbier-Liebstöckelsaft
[Muskattrauben : Senf-Blumenkohlcrème]
7. Landei Weiss Gekrönt
[Albatrüffel : Gestockter Schinkensaft : Nussbutterschaum]
8. Geeister Ziegenfrischkäse & Thymianhonig
[Schwarze Oliventapenade : Feigen In Senfmarinade]
Nach diesem "kleinen Vorspiel" geht es nun zu den Hauptgängen:
9. Challans Ente “Xo”
[Bouillon Chinoise : Runkelrübe : Mandarinen-Fjord Shrimpsalat]
10. Rostbraten Vom Angus-Rind & Zitronen-Thymianjus
[Vadouvan-Sellerietarte : Auberginenconfit : Ochsenmark]
11. Sonnenblumenmousse & Mango
[Topinambur : Passionsfrucht-Champagnersorbet]
12. Banane
[Karamellisiertes Erdnusseis & Jivara-Gewürzganache]
13. Apfelquitte mit Maronenstrudel
[Hagebuttengelee : Quitten Chantelly : Ingwer]
Zum Abschluss starten die Petits Fours mit dem Vêmdome-Klassiker Magnum
Leider ist es mittlerweile so spät, dass wir mit Rücksicht auf den Service den verführerischen Rest in einer DoggyBag mitnahmen.
Glücklicherweise haben wir immer eine Stählemühle im Handgepäck und so können wir diesen großartigen Nachmittag mit einem Digestif in der Sonne vor Schloss Bensberg ausklingen lassen
Trotz des Feuerwerks auf dem Teller, bleibt der Gedanke, dass dies durch Corona für dieses Jahr vermutlich unsere letzter Besuch dort war, so dass wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge das Schloß verlassen.
Aufgrund der Vielzahl der Gänge verzichte ich bewusst auf eine Einzelanalyse, die vermutlich langweilen würde, sondern möchte anhand von ein paar Beispielen Licht und Schatten im Menü erklären. Vorab sei gesagt, dass Joachim Wissler für mich ohne Zweifel in die Champions League der Köche gehört, so dass jegliche Kritik ein Klagen auf allerhöchstem Niveau ist. Nichtsdestotrotz muss man sich international mit den Besten messen und da wird schnell klar, warum deutsche Köche selten in den Top10 diverser Besten-Listen landen.
Nehmen wir die Langoustine von den Färöer-Inseln (Gang 3):
Der Kaisergranat in großartiger Produktqualität ist über jeden Zweifel erhaben (9,5/10), dazu ein unglaublich intensiver, aber gleichzeitig ausbalancierter Krustentier-Fond, wie ihn nur ein Spitzenkoch mit klassischer Ausbildung hinbekommt. Ergänzt mit einer Tandoori-Masala-Creme, die hervorragend dazu passt, so dass man mit etwas Detailarbeit daraus sicherlich einen 9,5/10 Gang machen könnte, vielleicht sogar mehr. Stattdessen gibt es Kartoffeln dazu, die ein völliger Fremdkörper sind und vermutlich der Versuch, die Reise nach Indien irgendwie in die „Neue deutsche Küche“ zu integrieren. Ein ebensolcher Fremdköper ist der für sich genommen sehr gute Calamarettisalat, der gegenüber dem intensiven Fond und der würzigen Crème keine Chance hat. Vielleicht hätte er als Pré-Plats besser gepasst, allerdings erschließt sich mir einfach der Zusammenhang nicht, außer dass es um Meeresgetier geht.
Das Verständnis der Küche ist im Grunde ein Problem, dass sich durch das ganze Menü zieht. Natürlich gibt es deutsche Klassiker wie Schweineschnäuzchen und Zander, aber viele der Gänge sind für mich nicht „typisch Wissler“, sondern hätten in vielen anderen Restaurants dieser Welt serviert werden können. Technisch und kreativ kann Joachim Wissler mit seinem Team, im Gegensatz zu vieler seiner Kollegen, die gesamte kulinarische Klaviatur spielen, so dass er neben der „neuen deutschen Küche“ vermutlich jederzeit ein japanisch oder orientalisch inspiriertes ***-Menü kreieren könnte. Vielleicht ist genau das die Schwierigkeit, sich in der Vielzahl der Möglichkeiten zurecht zu finden, denn es gab an diesem Tag so einige Gänge, wo ich gerne in die Küche gegangen wäre, um mir die Idee dahinter erklären zu lassen.
Ein Gang bei dem dies nicht notwendig ist, ist der Wolfsbarsch (Gang 5):
Der Loup de Mer in einer Qualität, wie man ihn selbst in der Bretagne nur schwerlich bekommt, ist wirklich ein Eichmaß, also eine 10+. Der kleine orientalische Ausflug passt dieses Mal perfekt und selbst das neue Modegemüse Fenchel macht so absolut Sinn, ebenso wie die Muscheln. Nimmt man einen Löffel davon und schließt die Augen, hört man im Kopf das Meeresrauschen während der Gaumen explodiert. Eine leichte Schärfe und Salzigkeit in perfekter Balance mit dem Fisch zeigen, was in der Küche des Vêndome möglich ist. Allein deswegen hat sich unser Besuch gelohnt, dieser Gang ist die Reise wert. Daran sieht man, dass Joachim Wissler auch jenseits der deutschen Küche problemlos eine 10/10 auf den Teller bringen kann.
Ähnlich ist es beim Onsenei mit Trüffel (Gang 7):
Ich habe sicherlich eine dreistellige Anzahl getrüffelter Onseneier gegessen, aber dieses hier gehört aufgrund seiner perfekten Balance sicherlich in die Top5, eine klare 10/10, auch wenn es theoretisch ein einfaches Gericht ist, aber perfektes Soulfood klingt einfacher als es ist.
Natürlich ist nicht jeder Gang auf diesem Niveau und es zeigt sich, dass die meisten Gerichte nicht mit dem Sezieren einzelner Zutaten funktionieren, sondern nur dann, wenn man den Löffel quer durchzieht. Ein Paradebeispiel dafür ist der geräucherte Zander (Gang 4), der für sich genommen eine 9,5/10 wäre, als Gericht jedoch ein ganzer Punkt weniger, da man einen Löffel mit allen Komponenten haben muss, da der Gang wie gewünscht harmoniert . Das ist insoweit schade, weil die Proportionen der einzelnen Komponenten nicht immer stimmig sind, so dass man manchmal am Ende ratlos vor einem Rest sitzt, der für sich genommen keinen Sinn ergibt.
Nimmt man als schlechtesten Gang eine 8/10 und als besten eine 10/10 passt eine 9/10 ziemlich genau für dieses Menü.
Ein weiterer (kleiner) Kritikpunkt ist der Service, der zwar jederzeit professionell und aufmerksam ist, bei dem jedoch leider kein Funke überspringt, was vermutlich daran liegt, dass man bei einem Durchschnittsalter von Mitte 20, keine Souveränität ausstrahlen kann. Auch hier geht es wieder um Jammern auf höchstem Niveau, aber die Zeiten, wo Miguel Calero die etwas steife Atmosphäre, durch seinen Humor, vor dem niemand sicher war, aufgelockert hat, vermisst man schmerzlicher denn je.
Jenseits aller Details ist es genau das, was uns gefehlt hat:
Wir fühlten uns über weite Strecken weder vom Essen noch vom Service emotional abgeholt. Es gibt Restaurants, die nicht ansatzweise auf diesem Niveau kochen, bei denen man jedoch mit einem breiten Grinsen durch die Tür geht. Ebenso gibt es Restaurants, wo der Service nicht perfekt ist, man jedoch viel Spaß hat und lacht. All dies hat uns im Vêndome etwas gefehlt, wo zwar alles professional abgespult wurde, jedoch die Emotionen fehlten.
Insoweit werden wir wohl in 2021 zunächst wieder zu Champions-League-Köchen wie Aljamo, Frantzén, Ramirez oder Redzepi gehen, bevor wir das Gute das so nah ist, erneut ausprobieren.
Fazit:
An meiner Einschätzung, dass das Vêndome kulinarisch zu den drei besten Restaurants Deutschlands gehört, hat sich durch unseren letzten Besuch nichts geändert. Nichts desto trotz hat man das Gefühl, dass es aktuell an einem klaren Konzept mangelt, wodurch es international etwas zurückgefallen ist. Es würde mich sehr freuen, wenn Joachim Wissler den Lockdown dazu nutzt, Gerichte weiter zu perfektionieren und sein Profil zu schärfen, denn er gehört sicherlich zu den Top50-Köchen dieser Welt. Unabhängig von der Kritik auf allerhöchstem Niveau ist und bleibt er die Speerspitze der neuen deutschen Küche und insoweit ein Pflichtbesuch für jeden, der noch nicht dort war.