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Das perfekt gegarte Steak – Mythen und Realität

G

Gast-39yegX

Guest
Long time - no see...

Ich habe da neulich was auf meinem Blog publiziert, denke dass dies für hier auch von Interesse ist. Da nicht alle FB haben, kopiere ich den Artikel einfach komplett hier mal rein.
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3-fach gegartes Roastbeef (Dry Aged, Hinterwälder)

Es führen viele Wege nach Rom, genau so viele zu einem guten Steak. Jedoch nur einer, zu einem perfekt gegarten Steak. Um das perfekte Steak zu garen, müssen wir uns erst etwas mit der Theorie auseinandersetzen. Ich habe versucht es einfach zu erklären. Bei Fragen bitte Fragen.

Fleisch
Fleisch besteht in erster Linie aus Muskelgewebe, inklusive Sehnen und Bindegewebe. Das Bindegewebe und die Sehnen bestehen aus Kollagenen. Je mehr ein Muskel beansprucht wurde, umso kürzer und dicker sind die einzelnen Muskelfasern und umgekehrt.

Zartheit
Die einzelnen Fasern sind von Bindegewebe umschlossen und Bilden Faserbündel die wiederum von Bindegewebe umschlossen sind, und so weiter.
Je dicker die Fasern sind, umso mehr Kollagen ist enthalten und entsprechend zäher ist das Stück Fleisch. Siehe Filet vs. Wadenfleisch. Die Zartheit eines Stück Fleisch entsteht größtenteils bei der Reifung. Die Fleischfasern werden durch spezielle Enzyme (Calpaine) zersetzt und sind dadurch leichter zu kauen. Dieser Prozess, Proteolyse genannt findet einmal bei der Reifung, aber auch beim Garen statt. Am Besten wirken die Enzyme bei 48°C kurz vor der Deanturierungstemperatur. Über 48°C werden diese inaktiv und damit wirkungslos. Sehr schön sieht man die einzelnen Muskelfasern z.B. bei einem Flanksteak.

Saftigkeit
Unter Saftigkeit verstehen man den primären Feuchtigkeitsgehalt eines Stück Fleisches beim Anschnitt. Ein saftiges Stück Fleisch kann später beim Kauen eine trockenes Mundgefühl verleihen. Dies ist oft bei Kalbsrücken der Fall.

Succulenz
Unter Succulenz verstehen wir das Mundgefühl, welches beim Essen entsteht. Speichel mischt sich mit dem Fleischsaft und den lösten Fetten und macht das Essen zum Genuss. Ein saftiges Stück Fleisch muss deshalb nicht zwingend ein angenehmes Gefühl erzeugen. Es kommt auf die Mischung Fleischsaft und geschmolzenes Fett an.

Was schmeckt?
Im Fleisch selber schmecken wir Fettsäuren & Peptide. Fettsäuren entstehen durch enzymatischen Abbau der Fette während der Reifung. Dieser Prozess wird Lipolyse genannt. Je marmorierter ein Stück Fleisch ist, umso mehr Geschmack kann bei der Reifung entstehen. Peptide entstehen durch enzymatische Spaltung von Proteinen und sind kleine Bruchstücke davon. Peptide wiederum bestehen aus Aminosäuren. Eine davon ist die Aminosäure Glutamin, welche geschmacksverstärkende Eigenschaften hat. Die Lipolyse scheint langsamer als die Proteolyse zu verlaufen. Dies zeigt sich m.E. daran, dass ein Stück Fleisch beim Reifen nach 30 Tagen keine merkliche Zunahme de Zartheit zeigt, wohl aber an Geschmack zunimmt. Ein weiteres Indiz ist die Beutel-Trocken Reifung von schon nassgereiftem Fleisch. Hier ist der Zartheitsprozess ebenfalls abgeschlossen. Es lassen sich aber trotzdem die typischen Dry Aged Aromen generieren. (DRANSFIELD, E. (1994): Optimisation of tenderisation, ageing and tenderness, Meat Science, 36, S. 105-121.)

Nach dem Anbraten schmecken wir die Röstaromen. Die entstehen durch die sogenannte Maillard-Reaktion.

Qualität/Grösse
Ich kaufe nur Fleisch von höchster Qualität und aus nachhaltiger Aufzucht. Frei nach Martin Hesterberg: “Esst weniger Fleisch, dafür besseres”. Wenn trocken gereift mindestens 30 Tage alt, wenn nass gereift min. 3 Wochen alt. Ich bevorzuge Fleisch von Tiere mit einem Schlachtalter von mindestens 24 Monaten. Diese geben das schmackhafteste Fleisch. Wenn dies nicht vorhanden ist folgen, Färsen. Gibt es die auch nicht, mache ich Pulled Pork oder Hühnchen. Jungbullen haben in der Regel zu wenig Geschmack, da intramuskuläres Fett wenig bis gar nicht vorhanden ist. Ob Roastbeef, Entrecote, Ribeye, Filet oder “neuen” Zuschnitte wie Flank, Onglet, Hanging Tender etc. pp. muss jeder selbst entscheiden.
Steaks sollten immer dick sein. Hier gilt: “Size matters”, mindestens 4 cm (eher mehr). Wenn man bedenkt, dass die Bratkruste ca. 2 mm dick ist (beide Seiten), sind dies bei einem Steak mit 1 cm Dicke schon 20%, bei 4 cm hingegen gerade mal 5% totgebratenes Fleisch.

Vorbereitung
Am Besten nimmt man das Fleisch direkt aus dem Kühlschrank. Durch die niedrige Anfangstemperatur, bleibt das Fleisch während des Garprozesses länger bei niedrigen Temperaturen. Dadurch sind die Enzyme länger aktiv (s.o.). Es dauert zwar etwas länger, das Ergebnis ist aber ein zarteres Stück Fleisch.

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Fast zu dünn. Hohe Rippe am Stück gegart und Tranchen daraus gebraten.

Anbraten/Angrillen
Beim Anbraten oder Grillen entstehen die gewünschten Röstaromen, welche für den Geschmack eines Stück Fleisches verantwortlich sind. Dies sollte so heiss und so schnell wie möglich von Statten gehen. Nicht dass sich die Poren schliessen, da es die nicht gibt, sondern wegen dem Geschmack. (Wäre das Steak dicht, würde es sich beim Braten aufblasen wie ein Luftballon) Durchgeglühte Holzkohle liefert dabei den besten Effekt, da sie den grössten Wärmefluss mit ca. 11 W/cm2 hat. Erwähnenswert sind hier auch Keramikkatalysebrenner wie die Sizzle Zone oder der Beefer, die auf einen vergleichbaren Wärmefluss kommen . Ordinäre Gasgrills dagegen, liefern mit 5 W/cm2 eher erbärmliche Ergebnisse. Beste Ergebnisse habe ich bisher auf einer glühenden Plancha (am besten ein Hammerbrenner drunter :D) erzielt. Hier ist der Energiefluss auf die Fleischoberfläche meines Erachtens am Besten. Die Reaktionsgeschwindigkeit der Maillard-Reaktion kann man noch erhöhen indem man u.a. den pH-Wert der Fleischoberfläche erhöht. Dies macht man am besten mit einer Mischung aus Natron, Zucker, Jus und Erdnussöl (Booster) mit der man das Fleisch vor dem Anbraten einreibt.

Garen
Das Garen sollte so langsam wie möglich von Statten gehen. Nur so ist garantiert, dass die Calpaine so lange wie möglich ihren Dienst tun. Daher ergeben auch alle Niedertemperaturgarmethoden so hervorragende Ergebnisse.
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Steak in der Pfanne

Sous Vide
Sous Vide hat viele Vorteile. Der Wichtigste ist meines Erachtens die exakte Steuerung der Gartemperatur mit dem verbundenen Ausschluss von Sauerstoff. Dadurch kann eigentlich kein Übergaren erfolgen und Aromen werden nicht unnötig oxidiert. Ein Texturabbau welcher zu einer Qualitätsverminderung führen könnte, ist meines Erachtens erst ab 10h Garzeit zu beobachten. Das heisst im Umkehrschluss man kann ein Stück Fleisch auch 5h im Bad lassen.

2 h 54°C -> 1 min pro Seite 250°C

Bei Dry Aged habe ich schon die Erfahrung gemacht, dass manche Stücke eine “gummibärchenartige” Textur ergeben. Dies scheint aber einer inkonsistenten Fleischqualität geschuldet zu sein, da der Effekt nicht reproduzierbar ist und nur ab und zu auftritt.

Backofen /Pfanne
Man kann das Steak erst anbraten und dann im Backofen garen oder umgekehrt. Ich empfehle das Vorgaren im Backofen und dann anbraten. Es ergibt einen konsistenteren Gargradient.

15 min 120°C -> 1,5 min pro Seite 250°C -> 5 min 20°C

Grill/Smoker

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Flaches Roastbeef beim Smoken. (Dt. Färse, wet aged)

Der Klassiker unter den Grillern ist die sog. 90/90/90/90 Methode. Hierbei wird ein Steak bei starker, direkter Hitze 90 sec. gegrillt um 90° horizontal gedreht und wieder 90 sec gegrillt. Dann um 90° vertical gedreht und das Procedere wiederholt. Dies gibt zwar ein schönes Muster auf dem Fleisch und ein nettes Bild für Facebook, das wars dann aber auch. Immerhin fehlen, je nach Rost, bist zu 30% Röstaromen. Dann wird das Steak bei indirekter Hitze fertig gegart.

3 min pro Seite 200°C -> 15 min 150°C -> 5 min 20°C

Mein perfektes Steak
Für mich ist das perfekt gegarte Steak ein Produkt aus mehreren Garmethoden. Ich bevorzuge ein leicht gesmoktes Steak. Sous Vide gegart und bei höchst Temperatur gebräunt. Mit einer Demi Glace glaciert und mit Salzflocken bestreut serviert, ist es ein Traum.

5 min Rauch 90°C -> 5 min 20°C -> 2 h 48°C SV -> 1 h 54°C SV-> 1 min pro Seite 950°C auf Gussplatte mit Booster

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Sous Vide gegart und in Pfanne angebraten

Ruhen
Nach dem konventionellen Garen (Nicht Sous Vide) sollte das Stück Fleisch ruhen. Nicht, damit sich irgendwelche Säfte verteilen (Da zirkuliert nämlich nichts mehr, wie auch ohne Pumpe), sondern damit ein Temperaturausgleich zwischen der sehr heissen Oberfläche und dem Inneren eintritt. Wichtiger noch ist die Verdickung der gelösten Proteine mit dem Fleischsaft. Die Temperatur im Steak wird gesenkt, bei gleichzeitigem Anstieg der Viskosität. Dadurch läuft weniger wertvoller Fleischsaft raus. Dies sollte nach Möglichkeit offen auf einem Holzbrett geschehen und keinesfalls in Folie. Dadurch wird das Fleisch nämlich isoliert und die erwünschte Verdickung kann nicht eintreten. Der Saft ist dann in der Folie und nicht im Fleisch. Sous Vide gegartes Fleisch kann hingegen sofort serviert werden.

Selbstverständlich ist dies nicht der Weisheit letzter Schluss. Daher freue ich mich auf Fragen, Anregungen und eine spannende Diskussion.

Nota bene!
  • Fleisch hat keine Poren.
  • Fleischsäfte verteilen sich nicht.
  • Fleisch offen ruhen lassen.
  • Fleisch kann direkt aus dem Kühlschrank auf den Grill/Pfanne/etc.
  • Fleisch kann man mit einer Gabel beim Wenden einstechen.
  • Fleisch kann man vorher oder nachher salzen. Dies ist piepegal.
  • Fleisch immer auf vorgewärmten Tellern servieren (mind. 60°C).
  • So langsam wie möglich garen & so heiss wie möglich anbraten
 

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Sehr schöner fundierter Beitrag mit neuen Erkenntissen. Danke schön.
 
Nota bene!
  • Fleisch hat keine Poren.

Muskelfleisch hat keine Poren.
Haut schon. ;)

Nur wo ist da genau der Unterschied?

Hihi: Die Theorie kommt vor dem Experiment und danach kann es auch umgekehrt sein,
oder gleichzeitig oder wie auch immer.

Gruß
Peter
 
Danke für den interessanten und lehrreichen Bericht!

Also sollte ich doch noch eine Gußplatte auf meinen kürzlich gelieferten Drachenbrenner basteln???

Mal sehen wie und wann ich den Invest gehemigt kriege.

Viele Grüße
Markus

P.S.: Bei uns daheim hat nur eine Person die Hosen an....und ich trag meistens einen Rock! :o
 
Word.

Ausgenommen der von mir noch nicht bekannten chemischen Hintergründe verfahre ich bereits so wie von dir beschrieben. In Ermangelung eines SV Gerätes zwar nach der Rückwärtsmethode (in Grill oder EBO), dennoch liefert dieses Verfahren bereits gute bis sehr gute Ergebnisse.

Bestätigen kann ich ebenfalls, dass das anbraten auf einer Gussplancha unter Zuhilfenahme einer wirklich hohen Wärmequelle (Wokbrenner, AZK mit Holzkohle etc.) gute bis sehr gute Röstaromen erzeugt und den "grauen" Rand minimiert. Wichtig dabei ist dennoch imho das schnelle und regelmäßige Wenden. So kann die Seite, welche sich nicht an der Bratfläche befindet abkühlen und die Hitze dringt nicht so tief ins Innere des Fleischstückes.

BTW:
Fleischqualität lässt sich aber durch nichts, gar nichts, ersetzen.

Noch ein Tipp:
Auch ein Holzbrettchen kann vorgewärmt werden. Und die Teller für 2min in die Mikrowelle vereinfachen logistisch auch das Vorwärmen der Teller.
 
Am Besten wirken die Enzyme bei 48°C kurz vor der Deanturierungstemperatur. Über 48°C werden diese inaktiv und damit wirkungslos.
Das ist für mich neu! Rührt daher Deine Angabe für SV ?
-> 2 h 48°C SV -> 1 h 54°C SV->
Die Gesamtzeitangabe vom 3 Stunden ist unabhängig von der Dicke des Stückes oder eher für maximal 5 cm?

Achso das ist wiedermal ein lehrreicher Input:thumb2:.
 
sehr gut :daumenhoch:
 
Hallo,
auch ohne die chemischen/biologischen Hintergrundinfos ein sehr gelungener post!
Man lernt nie aus!
Vielen Dank!
 
Super Anleitung mit vielen Hintergrund Infos. Mich speziell würde intressieren wie du die Demi Glace herstellst.
 
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